Historische Theologie

Helmut Matthies: Gott kann auch anders

Helmut Matthies: Gott kann auch anders. Erfahrungen meines Lebens, Basel: Fontis, 2019, Pb., 208 S., Abb., € 18,–, ISBN 978-3-03848-172-0


Helmut Matthies ist der bedeutendste evangelikale Journalist der letzten Jahrzehnte. Matthies hat die Wetzlarer Evangelische Nachrichtenagentur Idea zwar nicht ins Leben gerufen: Das war 1970 das Verdienst des damaligen Direktors des Evangeliumsrundfunks (ERF), Horst Marquardt, der 1974 den ersten Idea-Leiter, den Theologen und Journalisten Rolf Hille berief. Matthies – nicht der erste, aber er hat ab 1977 Idea in knapp 40 Jahren zum führenden evangelischen Pressedienst pietistisch-freikirchlicher Richtung ausgebaut.

Das vorliegende Buch ist keine klassische Biografie, die den Lebenslauf in linearer Abfolge wiedergibt. Matthies gliedert in diesem Buch vielmehr Lebenserfahrungen, verbunden mit biographischen Elementen, in zwölf Themenkreisen: „Familie“, „Glaube“, „Niederlagen“, „Erweckung“, „Mein Lehrer“, „Helden“, „Heilungswunder“, „Zweifel“, „Christsein“, „Propheten“, „Volkskirche“, „Das Ende bedenken“. Der Verfasser schreibt in dem von ihm gewohnten locker bis spannenden Stil mehr oder weniger ausführlich Geschichte und Geschichten, vor allem von Begegnungen mit wichtigen und weniger bedeutenden Menschen, wobei die Erlebnisse teilweise in chronologischer Reihenfolge zu stehen kommen.

Matthies ist in einem kleinen Dorf bei Peine aufgewachsen (12). Nach seiner Bekehrung erlebt er dankbar mit, wie sich nach und nach auch seine Eltern zum christlichen Glauben hinwenden (16f). In der Schule war er, wie er freimütig zugibt, nicht der große Held (33f). Diese Tatsache bringt ihn in einem Exkurs dazu, die Lebensgeschichten von Gladys Aylward und Carl Bolle zu erzählen (35–46). Der Hamburger Theologieprofessor Helmut Thielicke (1908–1986) unterstütze das Theologiestudium von Matthies. Dieser war in seiner Vorlesung eingeschlafen, weil er aufgrund der Armut seiner Eltern in der Nacht arbeiten musste (Kap. 5, 68–76). Unter dem Stichwort „Helden“ erzählt der Verfasser von „Freunden, die den Tod nicht fürchten“ (Kap. 6, 77–90), von dem Heidelberger Vermieter Karl-Ludwig von Boddien ebenso wie von Bernd Motschmann aus Hamburg. Ausführlich und ergreifend berichtet Matthies vom Sterben seiner unheilbar erkrankten Frau, die 37 Jahre lang als Ärztin in Siegen als gearbeitet hat (Kap. 7, 91–100). In diesem Zusammenhang denkt er nach über eine oft allzu unreflektierte Lobpreistheologie, über den Wunsch, dass Heilungswunder geschehen mögen, und über einen manchmal unzutreffenden Umgang mit den Tageslosungen, die die Wünsche des Lesenden mit Gottesworten zu bestätigen scheinen (97f).

Unter dem Thema evangelikaler Einheit vertieft Matthies das Thema der Pfingstkirchen und charismatischen Gemeinden, ihrer Stärken und Probleme ihrer Frömmigkeitspraxis, um dann grundsätzlich die Fragen des dreieinigen Gottes und besonders des Heiligen Geistes darzustellen (Kap. 8, 101–118). Das Stichwort „Erweckung“ war Anlass für einen ausführlichen Bericht über die Begegnung mit dem todkranken Paul Beßler in Halle/Saale (Kap. 4, 47–67). Matthies kommt in diesem Zusammenhang auf das tabuisierte Thema Tod zu sprechen (67f). Im 9. Kapitel widmet er sich einem weiteren heißen Eisen des praktischen Glaubenslebens, dem „Segen der Enttäuschungen“ (Kap. 9, 120–141). Matthies empfiehlt, nicht einzelne Worte, Sätze oder Abschnitte aus der Bibel herauszupicken, sondern den Text im Zusammenhang zu lesen (120). Weiter erklärt er anhand vieler Erlebnisse, dass wir uns auf Gottes Zusagen verlassen können.

Ein leitendes Thema des Verfassers ist die Wiedervereinigung bzw. die deutsche Einheit, von der er unter dem Titel „Propheten – die Mauer fiel trotzdem“ berichtet (Kap. 10, 142–164). Matthies hat am Grundgesetzauftrag der Wiedervereinigung immer festgehalten, auch wenn er mit dieser Ansicht in den EKD-Kirchen publizistisch allein auf weiter Flur stand. Die Vergangenheit ist in dieser Frage nach seiner Meinung bis heute nicht aufgearbeitet worden.

In der volkskirchlichen Wirklichkeit kennt sich Matthias durch seine fast vierzig Jahre als Leiter der Nachrichtenagentur Idea aus wie wenige andere (Kap. 11, 165–188). In den letzten Jahrzehnten vermisst er Konservative in den kirchlichen Leitungsgremien und klares Auftreten von Evangelikalen: „Es ist eben auch einfacher, Bonhoeffer-Biografien zu verschenken, als sich so mutig wie Dietrich Bonhoeffer (1945 hingerichtet) zu verhalten …“ (176) Auch die Freikirchen unterliegen in der Gegenwart Wandlungen (177f). Abschließend formuliert Matthies acht Vorschläge, durch die die Volkskirche erneuert werden könnte (180–188). Die acht Anregungen sind: Umgang mit Kirchenaustritten, Säuglingstaufe, Ausbildung des Pfarrernachwuchses und Förderung evangelikaler Hochschulen, Direktwahl aller Synoden, Aufhebung der Altersbeschränkung bei der Gemeindeleitung sowie Kirchensteuer – und das alles unter dem Horizont, dass Mission Priorität haben soll. Im letzten Kapitel des Buchs (Kap. 12, 189–206) zählt Matthies, der sich inzwischen an einem Gemeindegründungsprojekt in den neuen Bundesländern beteiligt, acht Argumente für das Christsein auf. Sie sind auf die Erfahrungen in seiner überwiegend atheistischen Umwelt bezogen.

Das Buch von Matthies ist mit Erfahrungen und Anekdoten gesättigt. Manche Geschichte eignet sich gut zum Weitererzählen. Biographische Elemente haben die Funktion, zu den Themen hinzuleiten; sie bleiben eher fragmentarisch und unzusammenhängend. Im Interview für das Jubiläums-Sonderheft „40 Jahre ideaSpektrum“ (September 2019) finden sich weitere interessante Details. Deshalb wäre es wichtig, dass der Autor diesem Band eine ausführlichere Lebensbeschreibung folgen lassen würde!


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein